Collaboration as Opportunity: Meine Eindrücke von der Digital Humanities-Konferenz in Graz

Veröffentlicht von Vera Piontkowitz am 27.07.2023 in Leipzig

Vom 10. bis 14. Juli 2023 fand die internationale Digital Humanities-Konferenz unter dem Motto “Collaboration as Opportunity” in Graz in Österreich statt. Ich war dort und berichte von meinen Erfahrungen und Eindrücken, Forschungstrends, und natürlich auch von den Beiträgen aus Leipzig, von denen es nicht zu wenige gab.

Die Konferenz begann für besonders Wissbegierige bereits am Montag mit einem breiten Workshopangebot: Von Einführungen in Tools wie Transkribus über Audioannotation bis hin zur Entwicklung eines DH-Tutorials für The Programming Historian konnten Teilnehmende Halb- oder Ganztagsworkshops im Unigebäude der Uni Graz besuchen. Trotz schwüler Hitze und keiner Klimatisierung waren die Workshops voll und die Teilnehmer:innen motiviert. Ich selbst hatte mich für den Workshop “Labs for Labs: A participatory workshop on digital lab practices in the humanities and social sciences” angemeldet, der von Mitarbeiter:innen des Playground and Laboratory for New Technologies (kurz: the Plant) der Uni Maastricht und des King’s Digital Lab vom King’s College in London durchgeführt wurde. Der Workshop bot die Möglichkeit, wertvolle Erfahrungen zur Konzeption und Umsetzung eines digitalen Labors aus erster Hand zu erfahren.

Die offizielle Eröffnung der Konferenz fand dann am Dienstag Abend in der Messe Graz, die für die kommenden Tage auch das Venue darstellte, statt. An einige Grußworte der Organisator:innen und lokalen Politiker:innen schloss sich die Eröffnungskeynote von Sarah Kenderdine mit dem Titel “Two-Fold Revolutions: Computational Museology in the Age of Experience” an. Sarah Kenderdine ist Professorin für Digital Museology in der Schweiz und leitet das Laboratory for Experimental Museology (eM+), in dessen Rahmen sie interaktive und immersive Museumsausstellungen umsetzt und materielles und immaterielles Kulturerbe mit digitalen Technologien neu aufbereitet und museal zugänglich macht. Solche Projekte waren auch Thema der sehr spannenden und sehenswerten Keynote, die hier frei zugänglich ist. Die Eröffnungsfeier wurde von einem anschließenden Empfang abgerundet.

Der darauffolgende Tag begann um 9 Uhr mit sieben parallelen Sessions, von denen ich ein Panel zum Thema “Exploring the borderlands. A revolutionary potential for DH” besuchte. Bezeichnend für das Panel, welches Probleme wie etwa Kolonialismus, Genderungleichgewicht oder Einsprachigkeit in der DH-Fachkultur thematisierte, war, dass von sechs Gästen lediglich zwei vor Ort teilnehmen konnten: Gründe dafür waren u.a. Schwierigkeiten beim Erhalt eines Visums.

An den drei Konferenztagen versuchte ich, eine möglichst breite Auswahl an Sessions zu besuchen, um mir ein Bild von den aktuellen Trends in der internationalen DH-Community zu schaffen. So nahm ich etwa an einer Session zu theoretischen Frameworks, aber auch an einem Panel zu Editionen für 3D-Modelle teil. Ich beschäftigte mich einerseits mit “Big Questions” der Digital Humanities, andererseits mit digitaler Archäologie oder Methoden und Good Practices der Wissenschaftskommunikation und Citizen Science.

Insgesamt war das Programm vielseitig und die Forschungsgegenstände multimodal, obgleich das Medium Text nach wie vor am präsentesten war. In jedem Zeitslot fand sich mindestens eine Session zu Natural Language Processing, digitaler Literaturwissenschaft oder Text Mining – Fans von Text kommen bei der DH also definitiv auf ihre Kosten. Doch auch vor Methoden des Machine Learnings und künstlicher Intelligenz machen die Digital Humanities nicht Halt, was das Programm der Tagung suggeriert. Ein Mix aus handfesten Projekt- und Forschungsberichten und Meta-Analysen zum Fach, seiner Kultur und seinen Problemen sowie die Auseinandersetzung mit Interdisziplinarität und Kollaboration prägte die Konferenz. Ohne den Vergleich zu anderen Fachkulturen zu haben, scheinen sich die Digital Humanities viel mit sich selbst auseinanderzusetzen und ihre Rolle und Bedeutung – sowohl in einzelnen Fachdisziplinen, als auch in der Wissenschaft allgemein und sogar in der breiten Gesellschaft – stets zu reflektieren und zu überdenken.

Einen Beitrag zu dieser Vielseitigkeit leisteten auch die Beiträge aus Leipzig. Insgesamt finden sich elf Beiträge, die unter Beteiligung von Leipziger Wissenschaftler:innen eingereicht und vorgestellt wurden. Vertretene Institutionen waren die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (SAW), und von der Uni Leipzig die Computational Humanities Gruppe, die Alte Geschichte, die Bild- und Signalverarbeitung sowie die Forschungsgruppe Digital Organology des Musikinstrumentenmuseums der Uni Leipzig. Die Vorträge und Poster behandelten etwa die Virtualisierung von Orgeln (Ukolov, 2023), Sentimentanalyse von historischen Börsenzeitschriften (Borst et al., 2023), Semi-Automatische Annotation von buddhistischen Höhlenmalereien (Radisch, 2023) oder neue Ansätze der Named-Entity-Recognition für das Altgriechische (Berti, 2023; Yousef et al., 2023). Zwei Studierende nutzten die Konferenz, um ihre Abschlussarbeiten (aus Leipzig bzw. in Leipzig betreut) vorzustellen (Henning et al., 2023; Shuan et al., 2023) und unterschieden sich in der Qualität ihrer Beiträge keineswegs von erfahrenden Wissenschaftler:innen. Hier ist eine Liste der Leipziger Beiträge:

  • Zoetrope – Interactive Feature Exploration in News Videos (Bernhard Liebl, Manuel Burghardt)
  • Marco Polo’s Travels Revisited: From Motion Event Detection to Optimal Path Computation in 3D Maps (Andreas Niekler, Magdalena Wolska, Marvin Thiel, Matti Wiegmann, Benno Stein, Manuel Burghardt)
  • Acoustical Cultural Heritages at the Centre of Cultural Exchanges. Origins and Distribution Patterns of Organ Building in South-East Europe (Dominik Ukolov)
  • Towards a Dynamic Knowledge Graph of a Non-Western Book Tradition (Daniel Kinitz, Thomas Efer)
  • Named Entity Recognition for a Text-Based Catalog of Ancient Greek Authors and Works (Monica Berti)
  • Buddhist Murals of Kucha on the Northern Silk Road. A Follow Up on Semi Automated Annotation Using RCNNs (Erik Radisch)
  • “Money Can’t Buy Love?” Creating a Historical Sentiment Index for the Berlin Stock Exchange, 1872–1930 (Janos Borst, Lino Wehrheim, Manuel Burghardt)
  • Cultural Motifs on #bigdata – A Semi-Automated Topic Modeling from a Socio-Cultural Constructionist Perspective (Charlotte Knorr, Andreas Niekler, Marius Behret, Christian Pentzold)
  • Image Classification of Paris Bible Data (Yasmin Hawar Abo Bakir Shuan, Christofer Meinecke, Stefan Jänicke)
  • Transformer-Based Named Entity Recognition for Ancient Greek (Tariq Yousef, Chiara Palladino, Stefan Jänicke)
  • Student Scientometrics – What do German Students of the Humanities Cite in their Term Papers? (Tim Henning, Silvia E. Gutiérrez De la Torre, Manuel Burghardt)

Alle Beiträge können im Book of Abstracts nachgelesen werden.

Insgesamt durfte ich eine lehrreiche, vielseitige, aber auch anstrengende Woche in Graz genießen. Neben spannenden Sessions erlebte ich die tolle Stadt, lernte viele interessante und nette Menschen aus der Community kennen, traf andere wieder, genoss leckeres Essen und eine tolle Versorgung auf der Konferenz. Die gute Stimmung der Konferenzteilnehmenden zeigte sich sowohl in den Sessions als auch in den Pausen bei angeregten Diskussionen oder entspannten und lustigen Gesprächen. Der Call for Papers für die DH 2024 in Washington, D.C. sollte nicht mehr so lang auf sich warten lassen, und vielleicht sehen wir uns ja dort!

Ich bedanke mich beim Vorstand des Forums für Digital Humanities Leipzig für die Möglichkeit, an der Konferenz teilzunehmen und für das FDHL zu berichten.