Leipziger Forschung im Fokus: Eine Übersicht von Leipziger Beiträgen auf der DHd2023

Veröffentlicht von Vera Piontkowitz am 13.04.2023

Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Reisekostenstipendiums für die DHd2023 entstanden. Ich möchte mich beim Verein „Geistes- und kulturwissenschaftliche Forschungsinfrastrukturen e.V.“/TextGrid e.V. an dieser Stelle herzlich dafür bedanken, mir die Teilnahme an der Konferenz zu ermöglichen. Auch möchte ich die tolle Arbeit der Organisator:innen hervorheben und mich dafür bedanken, dass meine erste Konferenzerfahrung so positiv war und mir wohl noch lange in Erinnerung bleiben wird.


Bei einem Blick in die Konferenzabstracts der diesjährigen DHd-Konferenz fällt auf, dass auch allerlei Leipziger Wissenschafler:innen ihren Weg nach Trier gefunden haben. Auf der 9. Jahrestagung des Verbands Digital Humanities im deutschsprachigen Raum (DHd2023), die vom 13. bis 17. März 2023 in Belval in Luxemburg und in Trier unter dem Titel “Open Humanities, Open Culture” stattfand, stellten Forschende aus dem deutschsprachigen Raum ihre Beiträge und Forschungsarbeiten aus dem Bereich der Digitalen Geisteswissenschaften vor. Die verwendeten Methoden und Tools waren dabei so vielfältig wie die Fachdisziplinen, die auf der Konferenz vertreten waren. In diesem Bericht möchte ich einen Einblick in die verschiedenen Beiträge aus Leipzig geben, die von der Annotation buddhistischer Wandmalereien über die Konstruktion von Multikulturalität in der deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer bis hin zur Betrachtung einer Musikverlagsdatenbank mit Methoden des Distant Reading reichen.

Insgesamt zähle ich sieben Beiträge, die unter Beteiligung von Leipziger Forscher:innen entstanden sind. Dabei sind fast alle Beitragsformen repräsentiert: ein Workshop, zwei Posterpräsentationen und drei Vorträge sowie ein Vortrag im Rahmen eines Doctoral Consortiums. Erfreulich ist auch, dass insgesamt drei Leipziger Forschungsinstitutionen vertreten sind – die Computational Humanities Gruppe der Universität Leipzig (UL) mit fünf Beiträgen, sowie das Institut für Musikwissenschaft der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy” Leipzig (HMT) und die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (SAW) mit jeweils einem Beitrag.

Die Konferenz startete mit zwei Workshoptagen in Belval, einem alten Stahlwerk in der luxemburgischen Kleinstadt Esch-sur-Alzette, das heute unter anderem einen Teil des modernen und architektonisch spektakulären Campus der Universität Luxemburg beherbergt. Der Workshop mit dem Titel ‚Algorithmen anwenden – algorithmisch denken. „Algorithmizität“ als Brücke zwischen Geisteswissenschaften und Informatik?’, der unter Beteiligung von Manuel Burghardt, Professor für Computational Humanities an der Universität Leipzig und Sprecher des Forums für Digital Humanities Leipzig stattfand, wurde von der AG Theorie organisiert und verhandelte die Anwendung von Algorithmizität in den Geisteswissenschaften. Algorithmizität wird hier (verkürzt gesagt) als Formalisierung von Handlungsanweisungen verstanden. Der Workshop vermittelte Teilnehmenden die Ergebnisse der im Juni 2022 stattgefundenen Tagung ‚Algorithmizität als Kultur des Verstehens’ in kondensierter Form, um auf Basis dessen über das Potenzial von Algorithmizität in den Geisteswissenschaften und ihrer Rolle im DH-Theoriediskurs zu diskutieren [1].

Die Workshoptage in Belval wurden von Quinn Dombrowski und Sebastian Majstorovic mit einer Keynote zum Projekt ‚Saving Ukrainian Cultural Heritage Online’ (SUCHO) abgeschlossen und die Konferenz im gleichen Zuge offiziell eröffnet. Wenn Ihnen das Projekt bekannt vorkommt, kann das daran liegen, dass die Keynotespeaker:innen es bereits auf der European Summer University 2022 in Leipzig vorstellten.

Die kommenden drei Konferenztage in Trier boten thematisch vielfältige Sessions und Podiumsdiskussionen sowie einen Posterslam mit anschließender Postersession. Aus Leipzig machte Maximilian Rosenthal von der HMT Mittwochs den Anfang mit einem Vortrag über eine Musikverlagsdatenbank (mvdb), welche im Rahmen des DFG-Projektes ‚Geschmacksbildung und Verlagspolitik’ entstanden ist. In der Datenbank werden Geschäftsdaten von Leipziger Musikverlagen aus dem 19. Jahrhundert gespeichert, im nächsten Schritt mit Methoden des Distant Reading analysiert und auf Basis der Verlagsprogramme Geschmacksentwicklung rekonstruiert und mit anderen Quellen in Verbindung gebracht [5].

Nachmittags hatten Teilnehmende der Konferenz dann die Möglichkeit, einem weiteren Vortrag aus Leipzig zu lauschen: Tianyi Kou-Herrema, PhD-Studentin an der Universität Leipzig und der Michigan State University in den USA, stellte ihr Dissertationsprojekt zum Thema ‚Constructing Multicultural Germany: Narratives on the Germany Men’s National Football Team from 2006 to 2018‘ im Doctoral Consortium vor. In ihrer Dissertation, die sich im Spannungsfeld von Sportwissenschaften, Germanistik und Digital Humanities verorten lässt, stellt Kou-Herrema u.a. die Fragen, wie die deutschen Nationalmannschaften in der Vergangenheit in den Medien dargestellt, instrumentalisiert und interpretiert wurden und wie die Rhetorik der „multikulturellen Nationalmannschaft“ die anhaltenden Debatten über die deutsche nationale Identität beeinflusst hat. Dabei nutzt sie Methoden des Close und Distant Reading – letztere beinhalten Topic Modeling sowie die Analyse eines Kookkurrenznetzwerks [3].

Bei der Postersession, die sich am Donnerstag Nachmittag einem unterhaltsamen Posterslam anschloss, konnten gleich zwei Poster aus Leipzig bestaunt werden: Burghardt et al. von der Computational Humanities Gruppe der UL stellten ihre Forschungsergebnisse zu ‚Tool Studies 2.0 – Zum Potenzial von Transformern für die Erkennung und Klassifikation von Software-Tools in DH-Publikationen’ vor. Mit einem Korpus bestehend aus fast 4000 Veröffentlichungen aus DH-Journals testeten die Autoren Transformer-basierte Sprachmodelle, um Korpora nach Toolnennungen zu durchsuchen, nachdem sich lexikonbasierte Ansätze bereits als untauglich erwiesen haben [2]. Übrigens: Mit seiner eindrucksvollen Hommage an die Anfangsszene des Films 2001: A Space Odyssey konnte Nicolas Ruth beim Posterslam das Publikum begeistern und belegte bei der Preisverleihung den dritten Platz.

Ein weiteres Poster aus Leipzig, welches von Erik Radisch von der SAW präsentiert wurde, befasst sich im Rahmen des Projektes ‚Wissenschaftliche Bearbeitung der buddhistischen Höhlenmalereien in der Kuča-Region an der nördlichen Seidenstraße’ mit der Dokumentation und Beschreibung von Wandmalereien in buddhistischen Höhlenkomplexen. Da die Wandmalereien größtenteils aus ihren ursprünglichen Höhlen entwendet wurden und sich die Fragmente nun in Museen auf der ganzen Welt befinden, gestaltet sich die Zuordnung der Kulturobjekte als sehr schwierig. Daher werden die Wandmalereien in situ und die weltweit vorhandenen Einzelstücke dokumentiert, beschrieben und mit Hilfe von historischen Fotografien wieder in ihren ursprünglichen Kontext gebracht. Das Projekt macht dabei von Methoden der Digital Humanities Gebrauch: Mit dem Tool Annotorious werden die Bilder manuell annotiert, um mithilfe dieser Daten Region Based Convolutional Neural Networks (RCNNs) zu trainieren, um in Zukunft zumindest eine semiautomatische Bildannotation zu ermöglichen [4].

Am letzten Konferenztag bot die Session ‚Culturomics’ die Möglichkeit, Einblick in gleich zwei Projekte der Computational Humanities Gruppe der UL zu erhalten: Janos Borst von der UL stellte die Forschungsarbeit des Teams rund um das DFG-Projekt ‚More than a feeling: Media sentiment as a mirror of investor’s expectations at the Berlin stock exchange, 1872-1930’ vor, bei dem das in der Finanzpresse zum Ausdruck kommende Sentiment mittels Sentimentanalyse gemessen und dessen Einfluss auf die Kursentwicklung bestimmt wird. Die Datengrundlage bilden 18.000 Berichte, die mittels OCR-Pipeline und Layout-Detection aus der Berliner Börsen-Zeitung extrahiert wurden. Zur Bestimmung der Sentiments kommt ein Zero-Shot-Ansatz zum Einsatz, der vielversprechende Ergebnisse für die Klassifizierungsaufgabe liefert [7].

Das BMBF-geförderte Verbundprojekt ‚FakeNarratives – Erforschung von Narrativen der Desinformation in öffentlich-rechtlichen und alternativen Nachrichtenvideos’ wurde von Manuel Burghardt vorgestellt. Insgesamt bilden 166 Nachrichtenvideos die Datengrundlage, bestehend aus 70 Tagesschau-Videos und 96 Bild-TV-Videos. Methodisch machen die Autor:innen Gebrauch von multimodaler Diskursanalyse und stellten erste Ergebnisse der Untersuchung von Narrativen in den verschiedenen Nachrichtensendungen vor. Ein Ausblick auf das Tool Zoetrope, welches die explorative audiovisuelle Analyse und automatische Annotation der Nachrichtenvideos ermöglichen soll und im Rahmen des Projekts entwickelt wird, rundete den Beitrag ab [6].

Auch abseits wissenschaftlicher Beiträge haben einige Teilnehmer:innen den langen Weg von Leipzig nach Belval bzw. Trier auf sich genommen. Dazu gehören Studierende des Bachelor- und Masterstudiengangs Digital Humanities der Universität Leipzig, zu denen ich auch gehöre, sowie wissenschaftliche Mitarbeiter:innen und Vertreter:innen verschiedener DH-nahen Institutionen.

Für Sie und Euch, die Mitglieder des FDHL, bot dieser Bericht hoffentlich kondensierte aber spannende Einblicke in die Forschung eines Teiles der Leipziger DH-Community. Die Konferenzabstracts sind Open Access verfügbar und freuen sich darauf, gelesen zu werden!


Bibliografie

[1] M. Burghardt, J. D. Geiger, J. Horstmann, R. Kleymann, J. Schmitz, und S. Schwandt, „Algorithmen anwenden – algorithmisch denken. ‚Algorithmizität‘ als Brücke zwischen Geisteswissenschaften und Informatik?“ (Workshop), in DHd 2023: Konferenzabstracts, Belval; Trier, März 2023, S. 13–16.

[2] M. Burghardt, N. Ruth, und A. Niekler, „Tool Studies 2.0 – Zum Potenzial von Transformern für die Erkennung und Klassifikation von Software-Tools in DH-Publikationen“, in DHd 2023: Konferenzabstracts, Belval; Trier, März 2023, S. 304–309.

[3] T. Kou-Herrema, „Constructing Multicultural Germany: Narratives on the Germany Men’s National Football Team from 2006 to 2018“, in DHd 2023: Konferenzabstracts, Belval; Trier, März 2023, S. 336–337.

[4] E. Radisch, „Buddhist Murals of Kucha on the Northern Silk Road. Ein Versuch der Semi-Automatisierung der Annotierung“, in DHd 2023: Konferenzabstracts, Belval; Trier, März 2023, S. 362–363.

[5] M. Rosenthal und M. Richter, „Musikgeschichte im distant reading: Präsentation der Musikverlagsdatenbank mvdb“, in DHd 2023: Konferenzabstracts, Belval; Trier, März 2023, S. 221–227.

[6] C.-I. Tseng, B. Liebl, M. Burghardt, und J. Bateman, „FakeNarratives – First Forays in Understanding Narratives of Disinformation in Public and Alternative News Videos“, in DHd 2023: Konferenzabstracts, Belval; Trier, März 2023, S. 138–141.

[7] L. Wehrheim, J. Borst, M. Burghardt, und A. Niekler, „‚Auch heute war die Stimmung im Allgemeinen fest.‘ Zero-Shot Klassifikation zur Bestimmung des Media Sentiment an der Berliner Börse zwischen 1872 und 1930“, in DHd 2023: Konferenzabstracts, Belval; Trier, März 2023, S. 90–95.