Von Franziska Naether
In diesem Jahr war ein Panel zur digitalen Lehre des 4. DHDL, in dem sechs Expert*innen von der Universität Leipzig ihre Erfahrungen und Tools teilten. Zuvor lud am Morgen des 2. Dezembers das Netzwerk Lehre.digital zu drei Vorträgen ein. Die Runde trifft sich regelmäßig. Zum 611. Unigeburtstag fanden sich etwa 40 Gäste zusammen, um über Digitalisierungsprozesse an der Alma Mater Lipsienses zu sprechen.
Eins gleich vorab: Die äußerst aktive Community besitzt einen Kurs in Moodle sowie einen Newsletter und eine Website, wo die Materialien des Tages auch geteilt wurden.
Unter der Moderation von Franziska Brenner und Katharina Günther sprachen drei Vertreter*innen aus dem Bereich der digitalen Lehre. Den Auftakt macht Johannes Schmidt, der sich speziell mit Digitalisierung als Prozess und Digitalität an sich befasste. Diese Phänomene seien nie zu Ende und umfassen tiefgreifende Kultur- und Prozessveränderungen. Er widmete sich kritisch den Anforderungen, die eine universitäre Struktur aufbieten sollte, um mehr Digitalisierung in Forschung und Lehre zu ermöglichen. Am Beispiel der betreffenden Institution an der Universität Leipzig entwarf er ein Modell, wie z. B. Fakultäten, Rechenzentrum, Bibliothek, Drittmittelverwaltung miteinander verzahnt sein müssten.
Hinzu kämen zusätzliche Anforderungen für Personal in einer sich ständig verändernden Welt: zusätzlichen Kompetenzen, die früher als Spezialwissen angesehen wurden, die aber nun jede*r Mitarbeiter*in zu erbringen habe. Jedoch könnten nicht alle Menschen die Anpassungsleistung an moderne Technologien in gleicher Weise erbringen.
Im Gegensatz zum landläufigen Glauben brächten Schüler*innen in der Regel nur wenige Digitalkompetenzen mit: Die Forschung zeige, dass Kenntnisse und Fertigkeiten in der Regel erst nach dem Schulabschluss erlernt werden.
In der Diskussion ging es u. a. darum, wie Initiativen wie die NFDI-Konsortien oder Forschungsdatenmanagement, aber auch ein Rechenzentrum in diesem Prozess eingehangen werden kann.
Im zweiten Vortrag informierten Anna Förster und Daniel Roß über Projekte und Angebote des Zentrums für Lehrerbildung und Schulforschung (ZLS) im Bereich der digitalen Lehre. Es gibt mehrere übergreifende Projekte, die insbesondere Studierende im Lehramt in ihrer Ausbildung befähigen sollen, digitale Lehre umzusetzen oder in digitaler Form Studieninhalte vermittelt zu bekommen. Der Fokus liegt nicht nur auf den zukünftigen Lehrer*innen, sondern auch an den gegenwärtigen, insbesondere den zahlreichen Seiten- und Quereinsteiger*innen in Sachsen. Auch Schüler*innen und Dozierende wie Promovierende in Erziehungswissenschaften werden in Forschungsprojekten mit einbezogen. Ein Link zu den vorgestellten Projekten findet sich hier:
- BMBF-Projekt bis 2023 mit Kompetenzkatalog für angehende Lehrerinnen, neue Tools und E-Learning
- Lehramtskompass, u. a. zur Verringerung der Studienabbruchquote
- Lit4School, eine Datenbank für den Deutsch- und Englischunterricht
- Podcast „Mathe für alle“
Die Diskussion am Ende entspannte sich v. a. um die verschiedenen Plattform, die in Sachsen genutzt werden: Das sind vor allem Moodle, Opal und Lernsax, die allerdings nur bedingt miteinander kompatibel sind.
Victoria Reinhardt ist Sozialwissenschaftlerin und lieferte einen Bericht über die Digitalisierungsprozesse an der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie. Es handelt sich dabei um eine Fakultät, die recht weit dabei ist, internationale Lehrkooperationen digital voranzutreiben, sowie digitale Prüfungen inklusive Eignungsfeststellungen für den Master, die Akkreditierung eines Studienganges sowie rechtliche Fragen anzugehen.
Daneben haben Victoria Reinhardt und ihr Team eine Befragung der Studierenden durchgeführt. 75% der Studierenden gaben ein sehr gutes bzw. gutes Feedback, aber 25% kamen mit der digitalen Lehre gar nicht klar. Oft geben diese als Gründe fehlende Motivation sowie fehlende soziale Kontakte an; mehr noch als fehlendes Geld, fehlende Zeit wegen Nebenjobs, höherem individuellen Arbeitspensum und Care-Arbeit in der Familie.
In der Diskussion wurde dies aufgegriffen und herausgearbeitet, dass es meist nicht an fehlender Motivation seitens der Studierenden liegt, sondern oft an der Befähigung, Pläne umzusetzen: Selbstorganisierung werde im Studium und in der Schule kaum vermittelt. Ein Lerneffekt dessen ist, mehr synchrone als asynchrone Lehrveranstaltungen anzubieten, was im Wintersemester 2020/21 verstärkt umgesetzt wurde. Das hat zu einer Überlastung der Systeme geführt: Der Traffic war dreimal so hoch wie im Sommersemester.
Der Vortrag hat gezeigt, dass auf Fakultätsebene viel im Bereich der Digitalisierung und digitalen Lehre passiert. Zahlreiche Gäste des Netzwerktreffens wünschten sich, mehr Einblicke in die entsprechenden Gremien der Universität Leipzig zu bekommen. In der Diskussion wurde sich darüber ausgetauscht, wie Aushandlungsprozesse innerhalb der Universität Leipzig laufen und dabei insbesondere auf die Rolle der Studiendekan*innen verwiesen.
Die Schwierigkeit, hier nachhaltige Arbeit zu leisten aufgrund der zahlreichen befristeten Stellen, wurde beklagt: Zum 1. April 2021 brechen viele Stellen im Bereich der digitalen Lehre weg. Es wurde aber auch klar herausgestellt, dass die Hochschulen im Bereich der Digitalisierung erheblich weiter sind als die Schulen – dies zeigen insbesondere die Kooperationsprojekte in den Erziehungswissenschaften und anderen lehrerbildenden Studiengängen auf.
Die Erkenntnisse aus dem Treffen des Netzwerks Lehre.digital nahmen Sebastian Herrmann und Franziska Naether mit in die Paneldiskussion auf dem DHDL. Die Materialien dazu finden Sie hier verlinkt. Ein paar Schlaglichter sollen auf die diskutierten Inhalte geworfen werden: Dominic Dives sprach sich dafür aus, dass es „digital change agents“ geben solle, also Multiplikator*innen, die den digitalen Wandel mitgestalten und viele Personen inspirieren sollen.
Katharina Günther wies darauf hin, dass im Moment ziemlich viele Fördermittel in den Bereich der digitalen Lehre fließen. Aber dabei viel zu selten auf Didaktik geachtet: Der Druck der Pandemie und die Begeisterung für digitale Tools ignoriere manchmal die Erkenntnisse jahrzehntelanger Forschung.
Sarah Doberitz und Christian Herfter widmeten sich dem System Shrimp, einer Software zur Auswertung von Fachtexten. Dabei gibt es u. a. einen Chatbot für die Studierenden. Es hat sich erwiesen, dass die Protokollierung der Lernfortschritte, aber auch das Fragen nach dem individuellen Ergehen der Studierenden mit geskripteten „mood dialogues“ stark bei der Bewältigung individueller Situation helfen.
Hausarbeiten schreiben ist eine gängige Prüfungsleistung in vielen Studienfächern, doch die Kompetenzen dafür werden oft nicht vermittelt. Der Aufbau eines Arguments, wie man Fragen stellt und eine Arbeit gliedert, ist zentral, nicht zuletzt für Qualifikationsleistungen. Silke Horstkotte hat sich innovative Verfahren ausgedacht, dies mit den Studierenden zu trainieren. Das passiert in Lernplattformen und durch E-Mail-Verfahren. Ihre Befürchtung ist es, dass nach dem Ende der Pandemie wieder komplett auf Präsenzunterricht umgestellt werde, anstelle solche Verfahren weiter auszureizen.
Neben den positiven Effekten für die Studierenden gebe es sehr viele Kolleg*innen mit Hochdeputatsstellen, insbesondere nach Umsetzung der Zukunftsvertragsmittel, denen solche weitaus effizienteren Lern-Lehrmethoden nützen würden, anstatt sich jede Woche für 90 Minuten in einem Seminarraum zu treffen. Insbesondere die Feedbackrunden haben dazu geführt, dass erheblich bessere Seminararbeiten und Hausarbeiten eingereicht wurden.
Naomi Truan präsentierte ein Tool namens Perusall, mit dem Texte analysiert und annotiert werden können. Ihr Wunsch ist es, dieses Tool in Moodle zu integrieren. Ansonsten wünscht sie sich wie auch die anderen Expert*innen der DHDL-Runde mehr Zeit, um digitale Hochschullehre zu reflektieren und keine Ad-hoc-Rückkehr zum Präsenzsemester, sondern die Freiheit, den Rhythmus anders zu gestalten.
Eine detaillierte Auswertung der Corona-Semester – ob nun im E-Learning oder in hybriden Formaten im Kontrast zum rein analogen Lernen ist der Wunsch unserer Panelteilnehmenden. Neben den Dozierenden sollten auch die Studierenden in die Analyse mit eingebunden werden. Dies wird insbesondere wichtig werden, da in der Zukunft in der Lehre zunehmend Hochdeputatsstellen geschaffen werden, in denen die Mitarbeitenden nur geringe zeitliche Ressourcen haben werden, sich über ihre akademische Lehre hinaus um die Aufarbeitung oder anderweitige wissenschaftliche Begleitung zu kümmern.
Somit endete der DHDL mit zahlreichen Good-Practice-Beispielen, aber auch mit Forderungen an Politik und vor allem Hochschulleitung, den oft disruptiven Prozess der Digitalisierung und das Leben im digitalen Zeitalter sinnvoll und sinnstiftend zu begleiten.